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| AWO Essen - Mißbrauch von Zeitarbeit? |
Ich glaube, uns allen klingeln noch die Ohren, wenn man an den so genannten Fall "Schlecker" denkt bzw. die Gründung eines Zeitarbeitsunternehmens mit dem Namen Meniar, das wohl anscheinend oder sogar recht offensichtlich nur mit dem Zweck gegründet wurde, um Stammbeschäftigung über einen Drehtüreffekt abzuschaffen. Da waren sich mal alle einig - Wirtschaft, Parteien aller Fraktionen und allen voran die Sozial- und Wohlfahrtsverbände, denen eben auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) angehört: "Das ich ein Mißbrauch von Zeitarbeit." Auch die Bundesregierung ließ nicht lange auf sich warten und startete sehr zügig eine Initiative, solchen Drehtüreffekten mit einer Veränderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetztes (AÜG) einen Riegel vorzuschieben. Obwohl sonst keine Riesenfans von weiteren gesetztlichen Regulierungen der Branche, waren es diesmal auch allen voran die Zeitarbeitsverbände selbst, die dies ausschließlich begrüßten. So wollen auch sie mit solchen ihrerseits selbst genannten Mißbrauchsfällen der Zeitarbeit nichts zu tun haben.
Ähnlich kommt nun jedoch die SPD nahe Arbeiterwohlfahrt Essen daher. Nach einigen Presseberichten wissen nun auch viele sonst nicht so zeitarbeitsaffinen Bürgerinnen und Bürger, dass auch die AWO Essen bereits 2007 ein eigenes Zeitarbeitsunternehmen gründete, um ihr Personal sytematisch auszulagern. Die AWO Service GmbH. Die AWO Essen hat für sich beschlossen, dass sie im Pflegebreich künftig nur noch Zeitarbeitnehmer/innen beschäftigen möchte bzw. alle Neueinstellungen nur noch in Form von Zeitarbeit vollzogen werden. Übernahme oder Equal Pay ("Gleicher Lohn für gleiche Arbeit") ausgeschlossen. Zumindest ihrerseits. Die Schuldfrage hierfür hat die AWO Essen auch schon zugewiesen: Der aus ihrer Sicht zu niedrige Geldfluss seitens der Pflegekasse ist Schuld an der hausinternen Zweiklassenentlohnung. Interessante These.
AWO...damit bringt jeder Gemeinnützigkeit und Soziales in Verbindung. Wohlfahrt eben. Schon lange betreiben die so genannten Sozial- und Wohlfahrtsverbände aber parallel noch knallhart gewinnorientierte Gesellschaften, gerade in den Bereichen, die als Niedriglohnsektor bekannt sind und wo zahlreiche Vollzeitbeschäftigte dennoch zu den so genannten "Aufstockern" zählen, weil sie von ihrem Lohn allein nicht leben können. So eben auch der Pflegebereich. Dem Bereich, dem man ggf. aus zahlreichen Gründen einen oder gleich mehrere Familienangehörigen anvertraut. Nicht selten sogar sein gesamtes Ersparte und Teile des monatlichen Einkommens mit einbringt, damit es ihnen möglichst an nichts fehlt.
Viele Mißstände im Pflegebereich sind bereits bekannt. Falls nicht, kann man die zahlreichen Pflegekräfte befragen, die bereits aus der Branche ausgestiegen sind oder es planen, weil eben der Gewinn und schon lange nicht mehr der Mensch im Vordergrund der täglichen Arbeit steht. Und wo sparen gewinnorierntiert agierende Unternehmen gern mal? Richtig. Beim Personal! Chronische Unterbesetzungen, viel zu enge Pflegedienstpläne, Burnouts oder hohe Krankenstände sind nicht selten die Folge personalwirtschaftlicher Fehlplanung wider besseren Wissens, jedoch zum Wohle der eigenen Marge, aber eben auch zulasten der zu pflegenden Menschen.
Und die AWO Essen steht in ihrer Stellungnahme auch offen dazu. So rechtfertig man sich u. a. wie folgt: "Die Heime sind ein wesentlicher wirtschaftlicher Faktor für die AWO Essen. Deshalb diente die Maßnahme, eine zweite Tarifebene über AWO Service einzurichten, neben dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit auch der Sicherung der Arbeitsplätze."
Schuld für die hausinterne Zweiklassenentlohnung ihrer Mitarbeiter/innen trifft die AWO Essen laut eigenen Angaben natürlich nicht. Schuld scheint nun neben dem zu geringen Geldfluss aus der Pflegekasse auch der sonstig immer so hochgeschätzte Tarifpartner Ver.di zu sein. So heißt es ebenfalls: "Wie schon 2008 besteht nach wie vor die Bereitschaft, mit Verdi über einen Haustarifvertrag für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AWO Service GmbH zu verhandeln." Auch aus meiner Sicht nicht notwendig, denn schon jetzt gilt "gleicher Lohn für gleiche Arbeit", sofern man keinen gültigen Zeitarbeitstarif anwendet. Zudem besteht Vertragsfreiheit in Deutschland, d. h. die AWO Service GmbH hätte jederzeit den gleichen Lohn zahlen dürfen. Eine Forderung, die auch nachfolgend noch mal seitens der AWO selbst aufgenommen wurde.
In einer Pressemeldung reagierte der AWO-Bundesvorsitzende Wolgang Stadler: "Leiharbeit ist ein Auswuchs eines sich ausweitenden Niedriglohnsektors in Deutschland. Von Seiten des AWO Bundesverbandes fordern wir seit langem, diesem Anwachsen durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes und die Stärkung von Tariflöhnen einen Riegel vorzuschieben. Gleichzeitig müssen die aus der Gleichbehandlung von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitnehmern und einem gesetzlichen Mindestlohn resultierenden veränderten finanziellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Träger dabei bei der Refinanzierung berücksichtigt werden." Nun möchte man Sanktionsmöglichkeiten innerhalb der AWO prüfen.
Und wieder steht die Zeitarbeitsbranche im Fokus negativer Berichterstattungen, die sie selbst eigentlich gar nicht zu verantworten hat. Hier beweist diesmal ein Wohlfahrtsverband, wie sehr man Zeitarbeit pervertieren kann und nicht die Branche selbst. Die AWO Essen liebt anscheinend Zeitarbeit. Im Pflegebereich entscheidet die Qualität und Motivation des Pflegepersonals über die Qualität der Pflege selbst. Da sollte man künftig dran denken, wenn man mal einen Pflegedienst oder gar einen Pflegeheimplatz benötigt. Man sollte sich eben auf knallharte Fakten und nicht auf irgendwelche sozial erwünschten Phrasen vermeintlicher Gutmenschen verlassen. Die AWO Essen beweist, dass man durchaus Wasser predigen und Wein trinken kann.

Es scheint nicht selten zu sein, dass man "Kreide isst" um etwas vorzutäuschen, was man gerne sein möchte. Im Märchen ist Rotkäppchen darauf reingefallen und wurde gefressen und erst später gerettet.
AntwortenLöschenEs gibt durchaus weitere Fälle im Bereich Pflege in Altenheimen und Krankenhäusern, die mit eigenen Zeitarbeitsfirmen bewußt die Drehtür zur Lohndrückerei aufgestoßen haben. Auch Unikliniken sind dabei, deren Träger die jeweiligen Länder sind. Eine Reihe von Beispielen findet man unter den Mitgliedslisten der Verbände.
Nach den neuen Regelungen in den Tarifverträgen ist bei "konzerinternem Verleih" kein Zeitarbeitstarifvertrag sondern Equal Pay anzuwenden.
Geschieht das denn auch?
Wenn hier die Methode Schlecker praktiziert wird und Tarifverträge zur Zeitarbeit bei der Bezahlung zur Anwendung kommen, dann kann wier nicht von seriöser und fairer Zeitarbeit gesprochen werden.
Hier ist die Frage der Überprüfung zu stellen. Dabei sind auch die Verbände gefordert, die nach außen häufig behaupten, dass die Mitgliedschaft in ihrem jeweiligen Verband schon Fairness bedeutet. Ja es wird sogar mit einer "Gütestelle" geworben, die sich um die Einhaltung der Tarifverträge kümmern soll.
Wenn nicht auch hier Wasser gepredigt wird und dennoch Wein getrunken wird, ist eine Überprüfung notwendig.
Den Phrasen wird heute nicht mehr geglaubt - Rotkäppchen ist eine Geschichte
Norbert Fuhrmann
Bemerkenswert ist der Umstand, dass die AWO es immerhin geschafft hat, einen ihrer zahlreichen Kreisverbände - nämlich Dortmund - herauszusuchen, um der Welt entgegen zu rufen: Wir haben auch faire Zeitarbeitsregelungen.
AntwortenLöschenVerwunderlich, dass es eben nur ein einziger Standort ist, der als Positivbeispiel aus dem Ärmel gezaubert wurde und nicht gleich eine ganze Liste positiver Beispiele.
Ist Essen also vielleicht doch die Regel und nicht die Ausnahme? Dortmund gar nur ein Alibi-Standort? Man sollte genauer hinsehen.
Siehe: http://tinyurl.com/33ml9j8