Sonntag, 14. November 2010

Schluss mit der Notlösung Zeitarbeit!


















Jobwunder Zeitarbeit. Eine Branche, deren Geschäftsmodell bereits im Jahre 1948 mit einer Idee der beiden amerikanischen Rechtsanwälte Aaron Scheinfeld und Elmer L. Winter aus Milwaukee (Manpower Inc.) begann und dann über den Klageweg der Firma Adia Interim (seit dem Zusammenschluss mit dem französichen Zeitarbeitsunternehmen Ecco auch als Adecco bekannt) Anfang der 1970er Jahre auch ihren Siegeszug in Deutschland aufnahm, hat es auch bis heute noch nicht wirklich schaffen können, sich als Topbranche am Bewerbermarkt etablieren zu können. Obwohl sie kontinuierlich wächst, wächst mindestens im gleichen Maße das Mißtrauen ihr gegenüber. Das Jobwunder entpuppt sich häufig als simple Notlösung. "Besser Zeitarbeit, als arbeitslos", beschreiben viele Zeitarbeiter auch heute noch ihre Entscheidung für einen Job in der Branche.

Das Gros der Ängste von Bewerbern ist seit vielen Jahren bekannt. Schnellerer Verlust des Arbeitsplatzes, Unsicherheit über die Einsatzlänge im Kundenunternehmen oder Folgeaufträge, niedrigerere Entlohnung als die Stammbeschäftigten des Kundenunternehmens, geringe  oder nur punktuelle Weiterbildungschancen, dubiose Werkvertragskonstrukte, Drehtüreffekte und vieles mehr bringen Bewerber immer wieder mit der Zeitarbeitsbranche in Verbindung. Zudem häuft sich die negative Berichterstattung in den Medien zur Zeitarbeit und so unbequem das für viele Zeitarbeitsunternehmen auch ist: Häufig nicht zu Unrecht. Populäre Fälle gibt es auch aktuell zu Genüge:
Ohne überhaupt diese exemplarisch gewählten und populären Fälle auf deren  eigentlichen Wahrheitsgehalt im Detail durchleuten zu wollen, stehen diese Beispiele jedoch symptomatisch für das Imageproblem der Zeitarbeit. Auch wenn sich zahlreiche positive Beispiele und auch Chancen für die Zeitarbeit aufzählen lassen, so wird immer deutlicher, dass meist nur die negativen Beispiele im Gedächnis der Menschen hängen bleiben.

Noch mehr als die Zeitarbeitsunternehmen und ihren Verbänden selbst, ägern sich jedoch die  so genannten operativen Mitarbeiter der Personal- und Vertriebsdisposition oder Administration und Mitarbeiterbetreuung, da sie sich Tag ein Tag aus dem Mißtrauen der Bewerber stellen müssen, ohne deutlich erkennbare Hilfestellung der Unternehmen und Verbände selbst. Keine groß angelegte Imagekampagne oder guten Pressekanäle, um die zahlreichen Positivbeispiele wirklich auch mal publik zu machen, unterstützen sie in ihrer Arbeit. Dabei haben sie selbst eigentlich einen den schönsten Jobs der Welt: Menschen einen Job und somit auch eine Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben zu vermitteln. 

Stattdessen haben viele operative Kräfte bereits eine "gesunde" Portion Galgenhumor gegen die täglich neuen Vorwürfe und das ihnen pauschal entgegengebrachte Mißtrauen entwickelt oder verweisen schlichtweg auf die "schwarzen Schafe" der Branche, die aber eben auch niemand so wirklich beim Namen nennen möchte. Zudem gibt es auch keine konkrete Definition, was eigentlich ein "schwarzes Schaf" ausmacht und woran man es erkennt. Jeder versteht etwas anderes darunter. Die einen machen es an der jeweiligen Tarifbindung fest. Andere widerum an Gesetzesübertretungen. Schlussendlich ist man sich nur dahingehend einig, dass ein Zeitarbeitsunternehmen dann zu den "schwarzen Schafen" gehört, wenn ihm durch die zuständige Aufsichtbehörde ihre Lizenz zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung entzogen wurde, was jedoch äußerst selten passiert und dann auch meist nicht in den Medien erscheint oder zumindest nicht von der breiten Bevölkerung wahrgenommen wird.

Auch die Gewerkschaften bieten den operativen Kräften keine Hilfe, obwohl sie eigentlich ebenfalls Anlaufstelle dieser Mitarbeitergruppe sein sollten. Was ist also zu tun, wenn man nicht einfach - wie zahlreiche andere zuvor - frustriert aus der Branche aussteigen will? Wenn man  stattdessen lieber dafür kämpfen möchte, dass die Branche auf Augenhöhe mit allen anderen Branchen stehen soll? Nicht mehr nur eine negativbehaftete Notlösung für den Bewerbermarkt sein soll? 

Mögliche Lösungsansätze könnten aus einer Richtung kommen, in der sich seit geraumer Zeit noch hinter vorgehaltenden Händen still und leise, fast unbemerkt etwas zusammenbraut. Ein Zusammenschluss von operativen Kräften jenseits der Zeitarbeitsverbände und Gewerkschaften. Eine regelrechte Gilde von operativen Kräften, die vom Modell des ehrbaren Kaufmannstums und der Branche selbst überzeugt sind. Die bereit sind, sich den aktuellen Problemen zu stellen, sie beim Namen nennen möchten und schlussendlich  konstruktive Lösungsansätze hierzu präsentieren wollen. Hierbei unterstützt werden sie von Branchenkennern, Juristen, anderen Fachspezialisten, Einkäufern und Personalern auf Kundenseite und auch von Aussteigern der Branche. Zudem sollen sie auch einen engen Kontakt mit Zeitarbeitern sowie ehemaligen Zeitarbeitern pflegen und sich mit ihnen hierzu austauschen. Man darf in jedem Fall gespannt sein, wie sich diese Kraft in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln wird, in die bereits viele eine Menge Herzblut, Engagement und Freizeit investieren. Besonders der Bewerber- und Kundenmarkt wird diese neue Kraft innerhalb der Zeitarbeit im Auge behalten.

Dienstag, 9. November 2010

AWO Essen: Zeitarbeitsmißbrauch mal anders

AWO Essen - Mißbrauch von Zeitarbeit?
Ich glaube, uns allen klingeln noch die Ohren, wenn man an den so genannten Fall "Schlecker" denkt bzw. die Gründung eines Zeitarbeitsunternehmens mit dem Namen Meniar, das wohl anscheinend oder sogar recht offensichtlich nur mit dem Zweck gegründet wurde, um Stammbeschäftigung über einen Drehtüreffekt abzuschaffen. Da waren sich mal alle einig - Wirtschaft, Parteien aller Fraktionen und allen voran die Sozial- und Wohlfahrtsverbände, denen eben auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) angehört: "Das ich ein Mißbrauch von Zeitarbeit." Auch die Bundesregierung ließ nicht lange auf sich warten und startete sehr zügig eine Initiative, solchen Drehtüreffekten mit einer Veränderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetztes (AÜG) einen Riegel vorzuschieben. Obwohl sonst keine Riesenfans von weiteren gesetztlichen Regulierungen der Branche, waren es diesmal auch allen voran die Zeitarbeitsverbände selbst, die dies ausschließlich begrüßten. So wollen auch sie mit solchen ihrerseits selbst genannten Mißbrauchsfällen der Zeitarbeit nichts zu tun haben.

Ähnlich kommt nun jedoch die SPD nahe Arbeiterwohlfahrt Essen daher. Nach einigen Presseberichten wissen nun auch viele sonst nicht so zeitarbeitsaffinen Bürgerinnen und Bürger, dass auch die AWO Essen bereits 2007 ein eigenes Zeitarbeitsunternehmen gründete, um ihr Personal sytematisch auszulagern. Die AWO Service GmbH. Die AWO Essen hat für sich beschlossen, dass sie im Pflegebreich künftig nur noch Zeitarbeitnehmer/innen beschäftigen möchte bzw. alle Neueinstellungen nur noch in Form von Zeitarbeit vollzogen werden. Übernahme oder Equal Pay ("Gleicher Lohn für gleiche Arbeit") ausgeschlossen. Zumindest ihrerseits. Die Schuldfrage hierfür hat die AWO Essen auch schon zugewiesen: Der aus ihrer Sicht zu niedrige Geldfluss seitens der Pflegekasse ist Schuld an der hausinternen Zweiklassenentlohnung. Interessante These.

AWO...damit bringt jeder Gemeinnützigkeit und Soziales in Verbindung. Wohlfahrt eben. Schon lange betreiben die so genannten Sozial- und Wohlfahrtsverbände aber parallel noch knallhart gewinnorientierte Gesellschaften, gerade in den Bereichen, die als Niedriglohnsektor bekannt sind und wo zahlreiche Vollzeitbeschäftigte dennoch zu den so genannten "Aufstockern" zählen, weil sie von ihrem Lohn allein nicht leben können. So eben auch der Pflegebereich.  Dem Bereich, dem man ggf. aus zahlreichen Gründen einen oder gleich mehrere Familienangehörigen anvertraut. Nicht selten sogar sein gesamtes Ersparte und Teile des monatlichen Einkommens mit einbringt, damit es ihnen möglichst an nichts fehlt. 

Viele Mißstände im Pflegebereich sind bereits bekannt. Falls nicht, kann man die zahlreichen Pflegekräfte befragen, die bereits aus der Branche ausgestiegen sind oder es planen, weil eben der Gewinn und schon lange nicht mehr der Mensch im Vordergrund der täglichen Arbeit steht. Und wo sparen gewinnorierntiert agierende Unternehmen gern mal? Richtig. Beim Personal! Chronische Unterbesetzungen, viel zu enge Pflegedienstpläne, Burnouts oder hohe Krankenstände sind nicht selten die Folge personalwirtschaftlicher Fehlplanung wider besseren Wissens, jedoch zum Wohle der eigenen Marge, aber eben auch zulasten der zu pflegenden Menschen.

Und die AWO Essen steht in ihrer Stellungnahme auch offen dazu. So rechtfertig man sich u. a. wie folgt: "Die Heime sind ein wesentlicher wirtschaftlicher Faktor für die AWO Essen. Deshalb diente die Maßnahme, eine zweite Tarifebene über AWO Service einzurichten, neben dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit auch der Sicherung der Arbeitsplätze."

Schuld für die hausinterne Zweiklassenentlohnung ihrer Mitarbeiter/innen trifft die AWO Essen laut eigenen Angaben natürlich nicht. Schuld scheint nun neben dem zu geringen Geldfluss aus der Pflegekasse auch der sonstig immer so hochgeschätzte Tarifpartner Ver.di zu sein. So heißt es ebenfalls: "Wie schon 2008 besteht nach wie vor die Bereitschaft, mit Verdi über einen Haustarifvertrag für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AWO Service GmbH zu verhandeln." Auch aus meiner Sicht nicht notwendig, denn schon jetzt gilt "gleicher Lohn für gleiche Arbeit", sofern man keinen gültigen Zeitarbeitstarif anwendet. Zudem besteht Vertragsfreiheit in Deutschland, d. h. die AWO Service GmbH hätte jederzeit den gleichen Lohn zahlen dürfen. Eine Forderung, die auch nachfolgend noch mal seitens der AWO selbst aufgenommen wurde.

In einer Pressemeldung reagierte der AWO-Bundesvorsitzende Wolgang Stadler: "Leiharbeit ist ein Auswuchs eines sich ausweitenden Niedriglohnsektors in Deutschland. Von Seiten des AWO Bundesverbandes fordern wir seit langem, diesem Anwachsen durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes und die Stärkung von Tariflöhnen einen Riegel vorzuschieben. Gleichzeitig müssen die aus der Gleichbehandlung von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitnehmern und einem gesetzlichen Mindestlohn resultierenden veränderten finanziellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Träger dabei bei der Refinanzierung berücksichtigt werden." Nun möchte man Sanktionsmöglichkeiten innerhalb der AWO prüfen.

Und wieder steht die Zeitarbeitsbranche im Fokus negativer Berichterstattungen, die sie selbst eigentlich gar nicht zu verantworten hat. Hier beweist diesmal ein Wohlfahrtsverband, wie sehr man Zeitarbeit pervertieren kann und nicht die Branche selbst. Die AWO Essen liebt anscheinend Zeitarbeit. Im Pflegebereich entscheidet die Qualität und Motivation des Pflegepersonals über die Qualität der Pflege selbst. Da sollte man künftig dran denken, wenn man mal einen Pflegedienst oder gar einen Pflegeheimplatz benötigt. Man sollte sich eben auf knallharte Fakten und nicht auf irgendwelche sozial erwünschten Phrasen vermeintlicher Gutmenschen verlassen. Die AWO Essen beweist, dass man durchaus Wasser predigen und Wein trinken kann.